Kernenergiehaftpflicht

Gemäss schweizerischem Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG) vom 18. März 1983 haften die Inhaber einer Kernanlage grundsätzlich unbegrenzt für Schäden, die ein Ereignis in der Schweiz verursachen könnte. Das gilt sowohl für den Betrieb einer Kernanlage als auch für die dazu nötigen Transporte – und unabhängig davon, ob die Inhaber der Kernanlage ein Verschulden trifft oder externe Faktoren Ursache des Schadens waren. Anders als im Ausland üblich sind sogar kriegerische Ereignisse in die Kernenergiehaftpflicht eingeschlossen. Die strenge Kausalhaftung vereinfacht die Behandlung von Schadenersatzansprüchen. So benötigen die verschiedenen Partner, die zum Bau und Betrieb einer Kernanlage beitragen (wie Lieferanten oder Transporteure), keine zusätzliche Versicherungsdeckung.

Der Nuklearversicherungspool 

Nuklearrisiken entziehen sich den üblichen versicherungstechnischen Überlegungen: Es handelt sich um eine sehr geringe Anzahl von zu versichernden Risiken, da weltweit eine überschaubare Anzahl von gegen 440 Kernkraftwerke in Betrieb ist. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden eintritt, extrem klein, während das allfällige Schadenpotenzial sehr gross ist. Um dieser besonderen Situation gerecht zu werden, wurden in zahlreichen Ländern Nuklearversicherungspools gebildet, die sich gegenseitig rückversichern. Jedes Poolmitglied verpflichtet sich, bis zu der von ihm festgelegten Versicherungssumme in einem Ereignisfall einzustehen. Gegenüber den Geschädigten haften die Versicherer solidarisch. Auch in der Schweiz besteht seit 1957 ein solcher Nuklearversicherungspool (SPN), an dem sich praktisch alle in der Schweiz tätigen privaten Erst- und Rückver­sicherungsgesellschaften beteiligen.

Totalrevision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes

 Das KHG wurde in den letzten Jahren überarbeitet, um die Schweizer Gesetzgebung mit den vor einigen Jahren überarbeiteten internationalen Haftungsübereinkommen zu harmonisieren. Das Parlament verabschiedete im Juni 2008 die Totalrevision und ratifizierte das sogenannte Pariser Übereinkommen sowie das revidierte Brüsseler Zusatzabkommen über die Haftung gegenüber Dritten. Das revidierte Kernenergiehaftpflichtgesetz (E-KHG) wurde mit der Ratifizeirung der internationalen Abkommen von den Vertragsstaaten per Januar 2022 rechtskräftig.

Erhöhte Deckungssumme

Mit der Überarbeitung des KHG wurde die minimale Deckungssumme von einer Milliarde Schweizer Franken auf 1,5 Milliarden Euro, also rund 1,8 Milliarden Schweizer Franken (bei einem angenommenen Wechselkurs von 1,20), erhöht

  • 700 Mio. Euro gehen direkt zu Lasten der Betreiber
  • 500 Mio. Euro trägt der Standortstaat, wobei diese Summe in der Schweiz direkt auf die Betreiber übertragen wird, die für die Versicherungsprämien aufkommen
  • 300 Mio. Euro tragen zudem die Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens in einer gemeinsamen zusätzlichen Versicherung. Dabei wird die Schweiz nach einem Schlüssel aus thermischer Leistung der Kernkraftwerke und Bruttosozialprodukt mit zirka 10 Mio. Euro verpflichtet

Schäden durch kriegerische Ereignisse und terroristische Gewaltakte müssen gemäss Pariser Übereinkommen gar nicht versichert werden. In der Schweiz bleiben solche Schäden jedoch wie bisher mitversichert.

Die Versicherungsleistung wird einerseits durch den Schweizer Pool für die Versicherung von Nuklearrisiken abgedeckt, andererseits durch den Nuklearschadenfonds des Bundes. Die Prämien für den Nuklearschadensfonds des Bundes bezahlen allerdings auch die Inhaber der Kernanlagen jährlich an den Bund. Sie kommen somit vollumfänglich für sämtliche Versicherungsprämien auf.

Das Faktenblatt fasst die neue Kernenergiehaftung zusammen.

Die Kernenergiehaftpflicht ab Januar 2022

Die Grafik zeigt: Die Deckungssumme für Schäden aus Ereignissen in Kernanlagen sowie Transporten von Kernmaterialien wird gemäss neuem KHG von einer Milliarde Schweizer Franken auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro erhöht. 

Würde nun ein Schaden die versicherte Summe von 1,5 Milliarden Euro überschreiten, so haftet der Inhaber weiterhin mit seinem ganzen Vermögen für die von der Versicherung nicht abgedeckten Schäden – also auch über die 1,5 Milliarden Euro hinaus. Wäre die Schadensumme dann immer noch nicht ganz gedeckt, müsste der Bund eine Regelung treffen.

Revision der Kernenergiehaftpflichtverordnung

Damit das E-KHG umgesetzt werden konnte, musste die entsprechende Verordnung (KHV) dazu vorliegen. Sie konkretisiert die Bestimmungen im E-KHG  und legt unter anderem fest, wie die Deckung zwischen Privatversicherern (SPN) und dem Nuklearschadenfonds (Bund) aufgeteilt wird.

Im Rahmen der durch die Anpassung an die internationalen Abkommen ausgelösten Gesetzesänderungen wurde auch die Kernenergiehaftpflichtverordnung (KHV) revidiert und vom Bund am 25. März 2015 verabschiedet.