PEGASOS Grenzen

Warum wurden die Ergebnisse vom PEGASOS nicht direkt umgesetzt?

Die Erdbebengefährdungsanalyse im Rahmen des Projekts PEGASOS wurde in den Jahren 2000–2004 basierend auf den besten damals verfügbaren Methoden und Daten durchgeführt und stellt somit den damaligen Kenntnisstand dar. Nach Abschluss des Projekts lagen zwei wichtige Befunde vor:

  1. Die im Rahmen von PEGASOS neu ermittelte Erdbebengefährdung lag höher als die Annahmen , die vor Jahrzehnten beim Bau der heutigen Kernkraftwerke zugrunde gelegt worden waren.
  2. Die eingesetzte Methodik stiess bei der in der Schweiz vorhandenen Datenlage an ihre Grenzen. Die Resultate sind geprägt durch eine grosse Bandbreite von Unsicherheiten und zahlreiche offene Fragen, welche die Wissenschaft noch zu klären hat.

PEGASOS deckte auf, dass die damals in der Schweiz verfügbaren Daten für die Erreichung des gesetzten Ziels nicht ausreichend waren. Anders als in Regionen mit hoher Erdbebengefährdung gibt es in der Schweiz für die untersuchten schweren Erdbeben kaum Erfahrungswerte. Ebenso konnten die in anderen Gegenden der Welt an realen Ereignissen verifizierten Modelle beim damaligen Stand der Wissenschaft nicht präzise auf die tektonische und geologische Situation in der Schweiz übertragen werden.

Dies betrifft insbesondere die Modellierung der Abminderung der Erschütterungen bei ihrer Ausbreitung vom Erdbebenherd in das umliegende Gestein, sowie die Standorteffekte an den einzelnen Kernkraftwerkstandorten (Unterprojekte 2 und 3 der PEGASOS-Analyse). Jede Region benötigt eigentlich ein eigenes Modell, doch ein verifiziertes, auf die Schweiz zugeschnittenes Modell stand bei PEGASOS nicht wirklich zur Verfügung.

Zudem hatte sich in der Zwischenzeit der Stand der Wissenschaft weiterentwickelt (beispielsweise durch eine neue Generation an Abminderungsmodellen in den USA und Europa).

Internationale Experten arbeiten meist in Regionen hoher Erdbebenaktivität mit entsprechend verfügbaren Daten aus aktuellen und historischen Erdbeben. In der erdbebenarmen Schweiz zeichnete sich ab, dass die Experten aufgrund der nicht ausreichenden Daten die Erdbebengefährdung sehr vorsichtig eingestuft hatten – unter anderem eine Folge davon, dass Unsicherheiten in den einzelnen Unterprojekten mehrfach in die Gesamtbeurteilung einflossen (Doppelzählung) und das Ergebnis damit verfälschten.

Der Vergleich der Erdbebengefährdung in der Schweiz gemäss PEGASOS mit anderen Ländern bestätigt diese Erkenntnis.

Verfeinerungsprojekt nach intensiven Diskussionen
Diese Probleme, die im Pioniercharakter von PEGASOS begründet sind, führten in den Jahren 2004–2008 zu intensiven Diskussionen in der Fachwelt. Vor diesem Hintergrund bestätigte die Aufsichtsbehörde ENSI in ihrem Abschlussbericht von 2004, dass PEGASOS zwar höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, gleichzeitig aber die Bandbreite der Unsicherheiten gross ist. Dennoch verschärfte die Behörde im Jahr 2005 in einem ersten Schritt die Erdbebengefährdungsannahmen für die Schweizer Kernkraftwerke.

Bis zum Vorliegen einer verfeinerten Studie müssen für probabilistische Sicherheitsanalysen Erdbebenkurven verwendet werden, die auf den in PEGASOS ermittelten Gefährdungskurven basieren. Wegen den bekannten sehr grossen Unsicherheiten und teilweise konservativen Annahmen in PEGASOS dürfen die Gefährdungsresultate aber um 20% reduziert werden.

Das ENSI zog damit die Konsequenz aus den ausgewiesenen Unsicherheiten und Grenzen der PEGASOS-Studie. Die Reduktion nahm das ENSI zurückhaltend vor – in geringerem Umfang als bereits damals die neuesten aus dem In- und Ausland vorliegenden Analysen und Erkenntnisse vermuten liessen.

Obwohl die PEGASOS-Ergebnisse um 20% reduziert wurden, sind sie noch immer erheblich höher als die bis dahin gültigen Einschätzungen der Erdbebenexperten für die Schweiz. Als Folge wurden in den Kernkraftwerken Nachrüstungen und Verbesserungen vorgenommen.

Angesichts dieser noch nicht befriedigenden Situation beschlossen im Jahr 2007 die Kernkraftwerkbetreiber, eine Studie zur Verfeinerung von PEGASOS durchzuführen. Im September 2008 wurde das PEGASOS Refinement Project (PRP) gestartet mit dem Ziel, die Unsicherheiten präziser zu quantifizieren, um zu einer möglichst realistischen Einschätzung zu kommen.

Zwischenanalyse nach Fukushima
Als Folge des Unfalls im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi verlangte das ENSI die sofortige Überprüfung der Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke bei Erdbeben und Überflutung. Die Kernkraftwerke haben inzwischen den geforderten Nachweis (Intermediate Seismic Hazard) erbracht, wobei sie die bereits vorliegenden, qualitätsgesicherten Daten und Modellen aus dem PRP einfliessen lassen konnten.